POP
Broom Bezzum s
WINE FROM A MUG
Steeplejack/ln-Akustik CD
Neue Besen kehren gut. ln diesem
Fall Reisigbesen, Broom Bezzums.
Die gleichnamige Two-Man-Band
fegt auf ihrem schönen dritten Al-
bum den Staub, den alte englische
Folksongs über die Jahrhunderte
angesetzt haben, mit viel Elan hin-
fort. Und auch die eigenen Lieder
von Andrew Cadie und Mark Bloo-
mer, beide der Liebe wegen in
Deutschland
hängengebtieben,
bringen frischen Wind in die Roots-
Szene.
Selbst
historische
Ge-
schichten über Freeborn John CJhe
Liberties“)
und
Seeschlachten
(„Empire Windrush“ ) werden auf die
heutige Lage umgemünzt und klin-
gen brandaktuell.
hake
MUSIK ★
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KLANG ★
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„I guess it's good loving that I want
the most/Someone who turns my
bread into buttered toast", reimt
Teddy Thompson im ersten Song.
Auch die restlichen zehn handeln
ausnahmslos von emotionalen und
erotischen Irrungen und Wirrungen
in Beziehungen zum „schwachen“
Geschlecht. Das sind weniger pri-
vate Be-, mehr verbindliche Er-
kenntnisse, die David Kahne (Wilco,
Renee Fleming, Strokes, Regina
Spektor) öfter mit Streichern opu-
lent als mal größere und dann wie-
der kleinere (Melo)Dramen produ-
ziert hat. Die erinnern - wie „Teil Me
What You Want“ - auch schon mal
sehr an Roy Orbison!
f. Sch.
m usik ★
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KLANG ★
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B u ch k ritik
„Shine on you.
..“
E in B u c h ü b e r S y d B a r r e t t v e r s u c h t d e n M y t h o s h in t e r
d e m P in k - F lo y d - M it g lie d z u e n t s c h lü s s e ln
Die während der „Jugband Blues“ -
Sessions aufgenommenen Syd-Bar-
rett-Kompositionen „Scream Thy
Last Scream“ und „Vegetable Man“
- als vierte Pink-Floyd-Single in Er-
wägung gezogen - hat EMI nie ver-
öffentlicht. Dabei hätte sich die
jüngste Retrospektive „An Intro-
duction To Syd Barrett“ ideal dafür
angeboten. So zirkulieren die Auf-
nahmen nur auf Bootlegs und längst
auch im Netz, wo die Fan-Gemeinde
über den tieferen Sinn der Texte -
Surrealismus oder Nonsens? - kon-
trovers debattiert. Kritiker Nick Kent
bezeichnete „Scream Thy Last Scre-
am“ mal als „meisterliche Orgie prä-
Beefheart’schen Irrsinns, die einem
das Blut in den Adern gefrieren
lässt“ . Psychologen dürften aus die-
sen Songs eher herauslesen, wie
weit Drogen den Mann zu diesem
Zeitpunkt schon zerstört hatten.
Nicht alle überstanden damals
die „Electric Kool-Aid Acid Tests"
unbeschadet: Roger „Syd“ Barrett
war noch vor Skip Spence und Pe-
ter Green eine der prominentesten
an LSD Verunglückten. In ihrem
Standardwerk „Crazy Diamond -
Syd Barrett & The Dawn Of Pink
Floyd“ (Originaltitel) zeichnen die
Herrn Watkinson und Anderson
ziemlich minutiös den Aufstieg und
tiefen künstlerischen wie menschli-
chen (Ver)Fall des schon sehr ge-
nialischen Pop-Wunderkindes nach.
Spekulationen findet man hier nir-
gends. I n zahllosen Interviews spür-
ten die Autoren viele in Barretts
Schaffen faszinierende Details auf.
Unverblümt porträtieren sie auch
seine durch exzessiven LSD-Kon-
sum beförderte Mr. Hyde-Persön-
lichkeit. Der Band-Kollege Nick Ma-
son bezeichnete ihn deswegen mal
als einen „verdammten Wahnsinni-
gen" (im Original: „fucking ma-
niac“). EMI-und „Piper At The Gates
Of Dawn“ -Produzent Norman Smith
hat hier wiederum für Mason nur
verächtliche Bemerkungen übrig.
Nesola/Sony CD
(49 )
Das dritte Album von Joy Denalane
kreist um ein zentrales Thema:
L.O.V.E. Keine allzu große Überra-
schung, zugegeben. Interessant wird
es jedoch, wenn man weiß, dass
diesmal das meiste aus eigenen, teil-
weise schmerzhaften Erfahrungen
der letzten fünf Jahre gespeist wird.
Gemeinsam mit Ex-Ex-Mann (kein
Tippfehler) Max Herre hat die Berli-
nerin warmherzige Songs übers Ver-
lieben und Entliehen aufgenommen
und in einen international konkur-
renzfähigen Deutschsoul gehüllt. Ih-
re butterweiche Stimme sorgt dafür,
dass selbst Liebeskummer-Titeln
stets ein Funke Hoffnung innewohnt.
hake
MUSIK
KLANG ★
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Mike Watkinson/Pete Anderson:
Syd Barrett & Pink Floyd - Shine On
You Crazy Diamond IBosworth Ver-
lag), 208 Seiten, Preis: 14,95 Euro
Wer der „wirkliche“ Syd Barrett
war, weiß man nach der Lektüre so
wenig wie zuvor. Geblieben ist sei-
ne Musik. Sein Verschwinden hatte
er schon im „Jugband Blues“ ange-
kündigt mit dem Vers: „And l'm
most obliged to you for making it
clearthat I'm not here." Ersatzmann
David Gilmour sollte der werden,
der auch dann am treuesten zu ihm
stand. Und Robyn Hitchcock sein
größter Fan.
FraiwSchöler
THE MOST INCREDIBLE THING
Parlophone/EMI 2 CDs
(84 )
Die Herren Tennant und Lowe sind
normalerweise unter dem Marken-
zeichen Pet Shop Boys zu hören.
Wenn sie sich nun wie zuvor beim
„Battleship Potemkin“ -Soundtrack
mit ihren Nachnamen genannt wis-
sen wollen, hat dies seine Gründe.
Der naheliegendste: „The Most In-
credible Thing” ist kein Pet-Shop-
Boys-Album. Die Literaturkundigen
werden es wissen - „Das Unglaub-
liche“ , so die deutsche Überset-
zung, ist eine Adaption eines Mär-
chens von Hans Christian Andersen.
An diesen Klassiker des Märchen-
genres haben sich Neil Tennant und
Chris Lowe, die, man erinnere sich,
auch schon so Mitgröhl-Nummem
wie „Go West“ verbrochen haben,
nun also abgearbeitet.
Und mit welcher Würde und Leich-
tigkeit zugleich sie dies tun! Hängt
es vielleicht damit zusammen, dass
dieses Werk für die Ballett-Bühne ge-
schrieben wurde? An ihrer Seite bei
„The Most Incredible Thing“ stehen
die Sinfoniker des Wroclaw Score Or-
chestra unter der Leitung von Domi-
nie Wheeler. Was auf den ersten Blick
wie ein gewagtes Unterfangen er-
scheint, entpuppt sich als’gelunge-
ne Verbindung von Tradition und Mo-
derne, da keine Seite die Lufthoheit
über
den
Gesamtsound
bean-
sprucht. Mal steht das Orchester im
Vordergrund, mal die elektronischen
Klänge des Electro-Duos. Doch bei
des ist perfekt aufeinander abge-
stimmt. Den einen mag diese Musik
zu poppig sein, den anderen zu
(pseudo-) klassisch. Unvoreingenom -
men werden wohl die wenigsten
über Tennants und Lowes Wechsel
ins vermeintlich ernste Fach urteilen.
Schade, denn so wird der Kritik
möglicherweise das entgehen, was
dieses Album auszeichnet: eine ge-
lungene Symbiose der typischen Pet
Shop Boy’schen Leichtigkeit des
Seins und ihren viel zu oft unter-
schätzten Fähigkeiten als populär-
elektronische Musiker.
Tom Fuchs
MUSIK ★
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KLANG
132 STEREO 6/2011